generisches Neutrum

Konzept für die sprachliche Gleichbehandlung aller Menschen

Warum das Suffix »-in« Frauen diskriminiert

Die Ungerechtigkeit des Anhängsels 

Frauen sind in der deutschen Sprache nicht gleichberechtigt. Sie werden schon durch die weibliche Endung »-in« diskriminiert. Diese Ungerechtigkeit hat vor vielen Jahrhunderten in unsere Sprache Einzug gefunden. Es ist höchste Zeit, ihr ein Ende zu setzen.

Die mächtigen und wichtigen Wörter sind kurz: Brot, Butter, Wasser, Mehl, Milch, Tisch, Sessel, Frau, Mann.

Es wurde den kräftigen Personenbezeichnungen (Bauer, Meister, Freund) für die weibliche Form eine Endung angehängt und diese weibliche Form somit schwächer, kleiner, unbedeutender gemacht.

Für diese angehängte Silbe kommt noch dazu ein ganz bestimmter Vokal zum Einsatz: nicht das mächtige A, nicht das offene O, nicht das düstere U, sondern das kleine, niedliche I, das in der Aussprache die Stimme hinaufgehen lässt – was eine zusätzliche Schwächung mit sich bringt.

Es ist also das Suffix »-in« der weiblichen Personenbezeichnungen, das Frauen diskriminiert. Aus dem starken Bauern wird die schwache Bäuerin. Ein Pilot ist zweisilbig, klar und stark. Eine Pilotin? Vergleichsweise niedlich.
»Die Frau ist nur die Ableitung, die Beiordnung, das Abnorme.« (Zitat aus dem Artikel »Geschlechtergerechte Sprache ist eine Utopie« von der Germanist Mirija Weber, in dem sie das Thema wunderbar detailliert bespricht.)

Die Probleme der mit »-in« gebildeten weiblichen Form gehen über eine Schwächung der benannten Frauen hinaus: Wenn man sagt, »Volksschullehrer sind unterbezahlt«, dann sind wohl alle Personen gemeint, die an Volksschulen unterrichten. Durch die Existenz der weiblichen Form »Lehrerin« sind Frauen in dem Beispielssatz aber nur mitgemeint und nicht ausdrücklich genannt. Aber mitgemeint reicht nicht. Es mag Jahrhunderte lang gereicht haben, heute reicht es nicht mehr, wir sind als Gesellschaft weiter. Es ist also der weit in der Vergangenheit liegende Sündenfall der deutschen Sprachentwicklung, Frauen durch eine eigene Endung zu verniedlichen, der uns heute vor große Probleme stellt, Personenbezeichnungen zu nutzen, die alle inkludieren. Denn »Lehrerinnen und Lehrer« reicht ja ebenfalls vielen nicht mehr. Wir brauchen eine neutrale Form, die alle Menschen bezeichnet.

Und anstatt mit schwer auszusprechenden schriftlichen Formen wie LehrerInnen, Lehrer!nnen, Lehrer_innen oder Lehrer*innen zu experimentieren, ist es an der Zeit, den ursprünglichen Sündenfall, der für das Schlamassel verantwortlich ist, aus der deutschen Sprache zu verbannen. Die Lösung ist einfach und elegant: Personenbezeichnungen gibt es nur noch in der Grundform, das Suffix »-in« wird nicht mehr verwendet. Diese Grundform ist nicht männlich und nicht weiblich, sie ist neutral. Und sie benennt alle. Alle sind inkludiert, nicht nur mitgemeint, sondern explizit genannt. Das ist das Konzept des generischen Neutrums. Es ist fair, einfach und wertschätzend.

Die deutsche Schriftsteller Nele Pollatschek schreibt darüber in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel:
»Der Weg zu Gleichheit ist Gleichheit. Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich behandeln und das heißt, sie gleich zu benennen.«

In ihrem Beitrag beschreibt sie auch, dass es im Englischen den Trend gibt, die ohnedies wenigen weiblichen Personenbezeichnungen nicht mehr zu nutzen. Und tatsächlich heißt es im Style Guide der englischen Tageszeitung »The Guardian« seit 2015: »Use for both male and female actors; do not use actress except when in name of award, eg Oscar for best actress. The Guardian’s view is that actress comes into the same category as authoress, comedienne, manageress, ‘lady doctor’, ‘male nurse’ and similar obsolete terms that date from a time when professions were largely the preserve of one sex (usually men).« Auch dort gilt: Gleich behandeln heißt gleich benennen.

Das zeigt auch ein kurzer Artikel auf cnn.com aus dem September 2020: »Cate Blanchett says she’s an ‚actor not an actress‘.«

Ein weiteres Argument gegen unterschiedliche Formen für Frauen und Männer: Wenn beide eingesetzt werden (egal, ob durch Doppelnennung, Binnen-I oder Gender-Sternchen), geht es plötzlich um das Geschlecht, wo dieses eigentlich überhaupt keine Rolle spielen sollte. 

Die Journalist und Politolog Antje Schrupp bringt das in einem Artikel, der für die sprachliche Gleichbehandlung eintritt, zum Ausdruck, indem sie ihn mit diesen Worten abschließt: »Es würde auch das Unbehagen aufgreifen, das ja auch viele Frauen schon immer gegen die ›geschlechtergerechte‹ Sprache haben, weil es ja tatsächlich stimmt, dass auf diese Weise beim Sprechen ständig Geschlechtlichkeit adressiert wird, auch dann, wenn sie im Kontext des Gesagten überhaupt keine Rolle spielt.«

In diesem Artikel bezieht sie sich u.a. auf die Linguist Luise Pusch, auf die der Vorschlag des generischen Neutrums zurückgeht. Schon in den frühen 1980er-Jahren stellte sie diese Idee vor und spricht seitdem immer wieder darüber. (Siehe z.B. das Interview »Längerfristig bin ich für die Abschaffung des ›-in‹«, erschienen 2009 in der Tageszeitung »der Standard«, ähnliche Aussagen von Luise Pusch finden sich an vielen Stellen.)

In einem mit »Das Gendersternchen ist nicht die richtige Lösung« betitelten Interview aus dem Jahr 2019 erklärt Luise Pusch das so: »Das weibliche Geschlecht wurde in der Sprache schon immer diskriminiert: In der Grammatik ist vorgesehen, dass Bezeichnungen für Frauen aus denen für Männer abgeleitet werden, im Deutschen wird dafür ein ›-in‹ angehängt. Sprachsystematisch und von der Entstehung her betrachtet ist es mit dem ›-in‹ wie mit Eva aus Adams Rippe: Die Frau wird aus dem Mann abgeleitet und hat einen niedrigeren Rang. Die Marschallin im ›Rosenkavalier‹ ist zum Beispiel die Frau des Marschalls und hat keineswegs selbst die Funktion eines Marschalls. Außer für Frauen gibt es Ableitungs-Suffixe nur noch für kleine Gegenstände oder Unwichtiges:  ›-chen‹, ›-lein‹, ›-le‹ oder ›-el‹: Brötchen, Mädchen, Fräulein, Spätzle, Mädel.« (Anmerkung: Im bairisch-österreichischen Sprachraum gibt es zusätzlich das Suffix »-erl«.)

Das Streichen der Endung »-in« für weibliche Personenbezeichnungen ist also längst überfällig. Es stellt allerdings zweifelsohne eine große Veränderung der deutschen Sprache dar.

Interessanterweise gab es eine ganz ähnliche Veränderung in der Geschichte schon einmal. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde innerhalb von ca. 50 Jahren die Endung »-in« für die Familiennamen von Frauen abgebaut, wie Alexander Werth in seinem wissenschaftlichen Beitrag »Der Abbau der onymischen Movierung im 18. Jahrhundert« darlegt. Den Fachbegriff erklärt er so: »Bei der onymischen Movierung handelt es sich um ein Phänomen, das in der Schriftsprache heute ausgestorben ist: Ein männlicher Familienname dient als Basis und wird mit ›-in‹ deriviert. Historisch handelte es sich um ein hoch produktives Wortbildungsmuster, das dazu diente, Ehefrauen, Witwen und Töchter zu bezeichnen.«

Es kam also in einem engen zeitlichen Fenster in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum Abbau der onymischen Movierung mit »-in« in der deutschen Sprache. Jetzt braucht es einen Abbau der Movierung mit »-in« ganz generell. Was in der Vergangenheit möglich war, sollte auch jetzt möglich sein. Vor allem, weil es einen Leidensdruck gibt, der Veränderung nötig macht.

Der Weg zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen führt nicht über das zusätzliche Anführen der sie diskriminierenden Formen, sondern über das Beanspruchen der Grundform.